Fünftes Prinzip: Widerspruch
„Ein anderer Fall von Widerspruch ist ein Gebäude, dessen Gestalt recht banal wirkt, weil ihm die akademische Geste fehlt, zum Beispiel ein klassisches Haus: mit Wänden, Fenstern, einem Satteldach - eben so, wie wir es auf Tausenden von Kinderzeichnungen wiederfinden. Bei einem derartigen Haus lässt sich nicht darüber spekulieren, was ein Architekt mit solch einer Gebäudeform erreichen will. Wir haben es hier mit der normalsten und gebräuchlichsten Form eines Hauses zu tun. Wird ein solches Haus jedoch mit etwas überlagert, das nicht typischerweise dazugehört, so kann aus der einfachen Form dieses vollkommen gewöhnlichen Hauses etwas ungeheuer Tiefsinniges entstehen. Beispielsweise könnte einem solchen archetypischen Haus - das uns auf den ersten Blick als der Inbegriff des Zuhauses erscheint - das Dach fehlen. Das vermeintlich gewöhnliche Haus, das uns selbstverständlich erscheint, kann auf diese Weise plötzlich rätselhaft werden. Das Haus wird so befreit, weil sich unserer Vorstellungskraft neue Möglichkeiten eröffnen: Ein Besucher wird verwundert sein angesichts eines Hauses ohne Dach. Wird also etwas Vertrautes mit etwas sehr Unvertrautem überlagert, so erwächst aus dem scheinbar Banalen oder Routinehaften etwas, das hochgradig sinnstiftend ist. Es ergibt sich ein Verfremdungseffekt.“
-Valerio Olgiati „Nicht-Referenzielle Architektur“